Sehr geehrter Herr Polizeipräsident Lange,
sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Dorndorf,
ich schreibe Ihnen im Auftrag des Begleitausschusses der Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Wie Sie wissen besteht das Gremium aus allen wesentlichen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen unserer Stadt. Das Gremium hat am 10.Oktober einstimmig beschlossen, Sie aufzufordern, die Neonazi-Aufmärsche durch die Nordstadt zu untersagen.
Begründung:
Die menschenverachtenden Morde sowie die Angriffe auf die Synagoge in Halle durch einen Rechtsextremen erschüttern das ganze Land, erschüttern auch die demokratische Dortmunder Stadtgesellschaft zutiefst.
Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland angegriffen werden. Die Angriffe und Morde von Halle, jeder Angriff auf jüdische Menschen und Einrichtungen sind Angriffe auf uns alle und auf die Werte unserer freien Gesellschaft. Antisemitismus ist deshalb mit aller Kraft und rechtsstaatlichen Härte zu bekämpfen, auch in Dortmund. Auch die Dortmunder Polizei hat sich mehrfach klar gegen Antisemitismus geäußert und ist im März 2019 dem Dortmunder Netzwerk gegen Antisemitismus beigetreten.
Trotzdem ziehen in Dortmund Neonazis immer wieder mit antisemitischen Parolen und dem Ruf „Nie wieder Israel“ durch die Straßen. Allerdings wird im Auftreten deutlich, dass es sich nicht um eine wie immer geartete „Israel-Kritik“ handelt, sondern um Antisemitismus. Dies wird in den Störaktionen beim Pogromnacht – Gedenken in Dorstfeld, aber auch beim Skandieren der Parole „Wer Deutschland liebt ist Antisemit“, der Unterstützung der notorischen Holocaust-Leugnern Ursula Haverbeck sowie andere auch gerichtlich anhängige Äußerungen deutlich wie die des „Die Rechte“-Bundesvorsitzenden Sascha Krolzig, der den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Bielefeld als „frechen Juden-Funktionär“ bezeichnet hat und dafür am 10. Oktober 2019 in zweiter Instanz verurteilt wurde. Dies sind nur einige Beispiele für die antisemitische Grundhaltung der Dortmunder Neonazis.
Diese Rufe sind der verbale Aufruf für antisemitische Taten und Täter in Halle oder sonst wo. Die Dortmunder Neonazis haben angekündigt, an 12 Montagen durch die Nordstadt zu marschieren – zwei dieser Montags-Aufmärsche haben bereits stattgefunden, der nächste ist für den kommenden Montag angekündigt. Es ist zu erwarten, dass auch dabei wieder die o.g. sowie weitere antisemitische Parolen gebrüllt werden.
Nicht nur, aber erst recht seit dem rechtsextremen Attentat in Halle halten wir das für unerträglich und nicht hinnehmbar. Es muss insbesondere für unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gerade auch in Dortmund wie ein Hohn klingen, wenn wenige Tage nach dem Terror in Halle und dem Angriff auf die dortige Synagoge der verbale antisemitische Hass auf den Straßen marschiert und zu hören ist.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat im Mai 2018 festgestellt, dass allein durch das Skandieren dieser Parolen die Grenzen der Meinungsfreiheit nach Art 5 GG noch nicht überschritten seien und für sich genommen nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllten. Gleichzeitig hält das Gericht fest, dass es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gäbe, „(….) dass der Antragsteller (hier: die Partei DIE RECHTE) die Parole ‚Nie wieder Israel‘ oder eine vergleichbare Äußerung im Zuge der angemeldeten Versammlung mit einem paramilitärischen oder einem sonst die Bevölkerung einschüchternden aggressiven, gewalttätigen Auftreten verknüpfenwerde.“
Gerade nach dem Terroranschlag in Halle sind wir der Auffassung, dass das nicht so stehen bleiben darf. Denn was sollte vor den Hintergrund der von einem Rechtsextremen verübten und der geplanten weiteren Morde an Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Halle die von Nazis in Dortmund gebrüllte Parole „Nie wieder Israel“ anderes sein als ein „die Bevölkerung einschüchterndes aggressives, gewalttätiges Auftreten“?
Dazu kommt, dass der Dortmunder Neonazi-Aufmarsch am kommenden Montag wahrscheinlich bundesweit der erste rechtsextreme Aufmarsch nach den schrecklichen Ereignissen in Halle sein wird. Deshalb ist damit zu rechnen, dass er aus diesem Grund medial weit über Dortmund hinaus begleitet, beobachtet und kommentiert werden wird. Dortmund würde dann wieder einmal bundesweit in das Licht einer Nazi-Hochburg geraten, in der Rechtsextreme sogar nur fünf Tage nach einem rechtsextremen Attentat ungestört marschieren dürfen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte zudem, dass der Täter von Halle auch gezielt Jagd auf Menschen mit Migrationshintergrund gemacht hat. Er tötete in einer Döner-Bude einen Migranten und versuchte weitere zu töten, was ihm nur auf Grund einer Ladehemmung der Waffe misslang. Neonazis danach durch die Nordstadt ziehen zu lassen – einem mehrheitlich migrantisch geprägten Viertel – im dem auch der NSU mit einem Kiosk-Mord seine Spuren hinterlassen und viel Leid verursacht hat, ist nicht hinnehmbar.
In diesem Zusammenhang wollen wir auch unseren Unmut nicht verhehlen, dass beim letzten Aufmarsch die Neonazis – entgegen der Zusicherung der Polizei – an der NS-Mahn- und Gedenkstätte Steinwache und dem NSU-Mahnmal vorbeigeleitet wurden.
Bereits vor zwei Wochen haben die Neonazis am Jüdischen Neujahr mit dem Skandieren „Nie wieder Israel“ und „Palästina hilf uns doch, Israel gibt es immer noch“ für bundesweite Empörung gesorgt und auch den israelischen Botschafter zu einem klaren Statement genötigt. Am 14. Oktober und dem 21. Oktober sind zudem erneut jüdische Feiertage. Daher sind solche Aufmärsche überhaupt nicht hinnehmbar. Am kommenden Montag ist der Eklat vorprogrammiert, da mit Dieter Riefling einer bekanntesten Hetzer der deutschen Neonazi-Szene – er ist mehrfach einschlägig vorbestraft – als Redner angekündigt ist.
Wir fordern Sie deshalb auf, vor diesem Hintergrund die Aufmärsche zu verbieten. Noch heute werden drei zivilgesellschaftliche Organisationen für den kommenden Montag jeweils Versammlungen anmelden.
Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Menschenfeindlichkeit dürfen in Deutschland, dürfen in Dortmund keinen Platz haben.
Im Namen der Mitglieder des Begleitausschusses
Hartmut Anders-Hoepgen
Vorsitzender des Begleitausschuss
Nachrichtlich: Zivilgesellschaftliche Mitglieder im Begleitausschuss:
- Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus
- Bündnis Dortmund gegen Rechts
- BlockaDo
- Arbeitskreis Christen gegen Rechtsextremismus
- Runder Tisch gegen Extremismus Lütgendortmund
- Runder Tisch für Toleranz und Verständigung in Dorstfeld
- Netzwerk gegen Rechts in Mengede
- Runder Tisch für ein demokratisches Eving
- Förderverein Gedenkstätte Steinwache – Internationales Rombergpark – Komitee
- BVB – Fanbeauftragte
- Fan- Initiative „ballspiel.vereint!“
- Mitglieder der Ratsfraktionen CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke
- DGB Dortmund-Hellweg
- Katholische Stadtkirche
- Auslandsgesellschaft NRW e.V.
- BackUp
- CoBaYana
- Quartiersdemokraten
- Jugendring Dortmund